von Alexander Beck
Die Architektur. Unendliche Diskurse. Wir schreiben das Jahr 2028. Eintrag in das
Bautagebuch: Die behindertengerechte Bautoilette wurde verspätet angeliefert und der 71-jährige
Zimmermann kann deshalb nicht termingerecht mit den Arbeiten beginnen.
Es war eine gute Idee der Väter der Bundesrepublik, die Lasten staatlicher Investitionen
und der Sozialkassen nicht mit kapitalgedeckten Systemen zu finanzieren, sondern sich
auf die Zahlkraft der Kinder zu verlassen. Schließlich kann man Kindern sagen was zu tun
ist!
Ein wenig ärgerlich ist natürlich, dass es ab Mitte der 1970er zu wenig Kinder gab und
nun die Alten etwas länger arbeiten müssen, um am Ende mit weniger Rente in den
Ruhestand zu gehen.
Viele fragen derzeit: Und was macht der Staat? Die Antwort ist: Nichts! Im Grunde war
das alles schon 1980 beschlossene Sache, da ab diesem Zeitpunkt jeder Politiker wusste
wohin der Hase läuft. Die Diskussionen über die RAF, die Ölkrise, das Waldsterben, den
Klimawandel, den Krieg gegen den Terrorismus und die Weltwirtschaftskrise haben uns
zu sehr in Anspruch genommen. Das war schon alles superwichtig, um die Welt für
unsere Kinder in einem guten Zustand zu hinterlassen. Welche Kinder? Die Frage war
eigentlich damals rein rhetorisch und niemandem fiel auf, dass genau diese fehlten. Alle
dachten: Ich überlege mir, wie WIR die Welt für UNSERE Kinder retten werden. Das war
.in., ein Gutmensch musste so denken. Tatsächlich sollten aber dann die anderen die
Welt retten und auch die anderen die Kinder bekommen. Deshalb haben wir heute den
Klimawandel und keine Kinder, trotz edler Gedanken.
Gehandelt haben wir nur einmal. Das war in der Weltwirtschaftskrise 2008, als zu wenig
Autos gekauft wurden, da gab es dann eine Abwrackprämie. Heute meinen einige eine
Babyprämie wäre damals sinnvoller gewesen, damit die geburtenstarken Jahrgänge in
den letzten fruchtbaren Jahren noch Kinder in die Welt setzen. Aber dafür ist es nun zu
spät!
Auch unser Kammerrentensystem, welches kapitalgedeckt und theoretisch sicher war, fiel
leider dem System zum Opfer:
Nachdem die Bundesregierung im Jahr 2025 das Versorgungswerk enteignet hat und die
dortigen Gelder für eine Woche die Rentenkassen der Bundesrepublik entlastet haben,
werde auch ich erst mit 75 Jahren in den Ruhestand gehen.
Für mich ist das natürlich kein Problem, war doch schon damals im Jahr 2008 Oscar
Niemeyer mein großes Vorbild, wie er noch mit 101 Jahren von den .runden Formen. in
seinem Leben sprach und ganz offensichtlich nicht die Architektur damit meinte.
Das beruhigte mich und versöhnte mich mit dem Rentensystem.
Immerhin sind die Architekten nun da angekommen wo sie volkswirtschaftlich gesehen
schon immer hingehörten, aber nie mit dem Herzen waren: In der Bauwirtschaft.
Nachdem sich die Kollegen im Jahr 2008 noch über eine gelungene Reform der HOAI
freuten, kam mit der absoluten Mehrheit der FDP im Jahr 2016 der Absturz. Totale
Liberalisierung der Märkte. Qualität kann sich auch mit Marktpreisen durchsetzen hieß es
im Bundeswirtschaftsministerium. Eine Mindestlohnregelung von 4,50 €/Stunde, wie für
die ostdeutschen Frisöre, konnte die Architektenkammer leider nicht durchsetzen.
Einige Kollegen wussten nicht wie freie Preise zu bilden waren und dachten einfach es
wäre günstig bei 100% Leistung für 50% des ehemaligen Honorars zu arbeiten. Für die
Auftragslage war dies zunächst ein guter Gedanke. Trotzdem mussten aus nicht
erklärlichen Gründen, immer mehr Architekturbüros Insolvenz anmelden. Trotz guter
Auftragslage.
Gerade viele der Büros, welche sich die Gestaltung zur Aufgabe machten und sich von
allzu kapitalistischen Gedanken fern hielten, mussten ab 2016 zunehmend dicht machen.
Was für ein Verlust für die Baukultur.
Apropos Baukultur: Es gibt noch einige Buildingdesigner, die im Auftrag großer
Immobilienkonzerne Fassaden stylen. Ab und an bauen einige Kollege in Asien auch
erstaunliche Dinge und ich habe gehört, es soll bald eine Bundesstiftung Baukultur geben.
Ein Journalist hat kürzlich aufgedeckt, dass es diese Stiftung schon seit 2006 geben solle,
allerdings kenne ich Keinen, der dort Mitglied ist. Ich denke, das war eine Presseente.
Aber zurück zum meinem Bautagebuch: Vielleicht erzähle ich kurz einmal die Geschichte
meiner letzten Mehrzweckhallenplanung, welche im Jahr 2027, 11 Jahre nach
Abschaffung der HOAI begonnen wurde und die ich vergangene Woche abgeschlossen
habe:
Mein Bauherr war eine kleine Stadt mit 10.000 Einwohnern.
Mein Einstieg war eine mehrfach gebaute Mehrzweckhalle, die bei einem der letzten
großen offenen Architekturwettbewerbe im Jahr 1994 einen Preis gewann. Ein echter
Klassiker aus dem letzten Jahrtausend. Erprobt und immer wieder schön anzusehen.
Der Bürgermeister war begeistert, dass er das Honorar für ein Drittel des alten HOAI 2016
Preises erhielt. Das war weit mehr als die vorhergesagten kleinen Einsparungen, von der
die Bundesregierung damals ausging.
Die Kollegen mit Ihren schicken Entwürfen und lächerlichen Nachlässen von 5 bis 10%
hatte ich wirtschaftlich hinweggefegt mit einem 70%tigen Nachlass auf die alte HOAI.
Das Angebot erfolgte natürlich schriftlich und dem folgte auch ein schriftlicher
Architektenvertrag, den ich verfasst habe. Er enthielt die in der alten Honorarordnung
erwähnten Grundleistungen, schränkte allerdings deren Umfang .ein bisschen. ein.
Der Bürgermeister und der Gemeinderat kamen zur Überzeugung, dass dies jedoch kein
Problem sein dürfte, immerhin habe der Architekt ja nur ein wenig zu zeichnen und muss
ein paar mal telefonieren. Insgesamt waren Sie sehr zuversichtlich, da ja früher auch
immer alles gut lief mit der HOAI, nur eben gefühlt zu teuer war.
Die Grundlagenermittlung erfolgte auf einem vom Bauherrn auszufüllenden Formblatt. Die
Recherchen über die Fragen, die der Bürgermeister unverständlicherweise mangels
Fachkunde nicht beantworten konnte, benötigen ein paar Tage und führten zum Nachtrag
Nr. 1.
Als nach meinem 2. Entwurfsvorschlag noch ein Bürgersaal eingefügt werden sollte,
musste ich die Planung noch einmal verändern, was im Honorarangebot, das auf zwei
Vorschläge als Grundrisse im Maßstab 1:200 begrenzt war, nicht enthalten war. Dies
führte zu Nachtrag Nr. 2
Dass der Stadtrat, anders als der Bauausschuss, eine Änderung im Foyer wünschte und
ich dort noch einmal umplanen musste, führte zu Nachtrag Nr. 3.
Der Bauantrag wurde gestellt und das Straßenbauamt hatte als dritte Behörde noch
Fragen, die wir vor Ort klären mussten. Es waren aber nur zwei Behördentermine im
Honorarangebot enthalten. Der Ortstermin führte zu Nachtrag Nr. 4.
Dass das Regierungspräsidium noch Gesprächsbedarf sah, war natürlich nicht von mir
vorherzusehen und damit nicht kalkulierbar. Das Gespräch, die nachfolgenden
Änderungen und Ergänzungen im Finanzierungsantrag der Gemeinde, sowie die Fahrt
nach Stuttgart, waren Inhalt von Nachtrag Nr. 5
Die Fachplaner forderten Zeichnungen des Entwurfs digital an und erhielten wie
vereinbart dafür eine Rechnung über die notwendige Aufwandsentschädigung. Man kann
schließlich nicht alles umsonst machen.
Einige der Fachplanerleistungen, wie z.B. die Zeichnungen des Statikers enthielten
Maßfehler, was zu einem erhöhten Aufwand bei der Koordinierung der Werkplanung
führte. Das war Teil von Nachtrag Nr. 6. Der Stadt habe ich empfohlen diese Kosten bei
den Fachplanern einzubehalten.
Mehrere Änderungen in der Werkplanung auf Wunsch des Bauherrn, führten zu den
Nachträgen 7 bis 9.
Der Bemusterungstermin im Gemeinderat hat Diskussionen über die ausgewählten
Farben und Materialien ausgelöst, die weit über die angebotenen zwei
Gestaltungstermine hinausgingen. Die notwendigen Ortstermine und die Erstellung
weiterer Vorschläge und die Beschaffung zusätzlicher Muster wurden im Nachtrag Nr. 10
abgerechnet.
Die Ausschreibungen wurden daraufhin versendet. Da insgesamt deutlich mehr Bieter als
vertraglich vorgesehen die Leistungsverzeichnisse abholten und zur Prüfung am
Submissionstermin abgaben und ich diese alle prüfen musste, wurde es an dieser Stelle
für die Stadt richtig teuer. Die Stadt wollte diese Kosten zunächst nicht tragen, lenkte
dann aber nach einer Auskunft ihres Rechtsanwalts ein. Denn das Architektenhonorar
beinhaltet hier ja seit neuem Einzelpreise für die Prüfung von Leistungsverzeichnissen,
getrennt nach den einzelnen Gewerken und nach der Anzahl der Angebote. Dies hat sich
durch die neue Rechtssprechung ergeben, die eine Pauschalierung des Honorars in
diesem Punkt untersagt hat, da es sich für den Architekten um ein nicht zu kalkulierendes
Risiko handelt, wie viele Bieter Leistungsverzeichnisse abholen bzw. abgeben.
Der BGH entscheidet hier regelmäßig ähnlich wie in seinen VOB-Urteilen, was mir als
ehrlichem Planer sehr entgegen kommt.
Die Bauverträge wurde danach unterzeichnet. Das geschieht nicht durch uns, sondern
wie vertraglich festgelegt, durch den Anwalt des Bauherrn, was uns einen geringeren
Beitrag in der Berufshaftpflichtversicherung beschert hat. Dass Vitruv die Gestaltung des
Vertrags zwischen Bauherr und Bauunternehmer, als eine der Grundaufgaben des
Architekten beschrieben hat, ist zwar praktisch gedacht aber eben doch nicht mehr
modern.
Der Bauherr übertrug uns dann noch die Verwaltung der Gewährleistungsbürgschaften
und war zunächst etwas überrascht, dass die Verwaltung der
Freistellungsbescheinigungen, die vor der HOAI Abschaffung immer kostenlos miterledigt
wurde, Bauherrenaufgabe sei. In den Grundleistungen der alten HOAI stand jedoch
überraschender Weise nichts davon. Wir einigten uns auf eine Pauschale für beide
Leistungen im Nachtrag Nr. 10.
Wir begannen daraufhin mit den Bauarbeiten.
Die Bauleitung kostet in Zukunft sogar nur noch 10% des alten HOAI-Preises, denn hier
wird in Zukunft richtig verdient.
Die Baufirmen sind zunächst etwas überrascht, dass es die Pläne nur noch als PDFDateien
zum Download auf unserem Server gibt. Viele hatten offensichtlich diesen kleinen
Hinweis in den Vorbemerkungen nicht gelesen. Einige sind selbst 2027 noch nicht so
modern eingerichtet und bestellen bei uns altmodische Papierpläne, gemäß unserer
Preisliste zzgl. Bearbeitungsgebühren.
Auf der Baustelle gab es bald eine erste terminliche Verschiebung. Mein
Baustellenservicemitarbeiter, früher auch Bauleiter genannt, koordinierte das gerne im
Auftrag der Firma, die das zu verantworten hatte. Gemäß dem Bauvertrag, für eine
einmalige Unkostenpauschale zzgl. Stundensatz des Baustellenservicemitarbeiters.
Nachdem mein Baustellenservice durch einen Nachunternehmer auf eine
Ausführungsungenauigkeit hingewiesen wurde, übernahm dieser die Koordination der
Arbeiten auf Kosten der Verursacherfirma. Unsere Baustellenservicepreisliste ist ein
mehrere Seiten umfassendes Werk, welches unzählige Leistungen zum Wohl des
Bauherrn und für eine spannungsfreie Zusammenarbeit mit dem Handwerker enthält.
Der Handwerker wird nicht mehr als lässlicher Unternehmer, sondern als Kunde
behandelt. Seine Verfehlungen sind willkommene Aufträge. Ein unklares Aufmaß oder ein
Fehler in der Rechnung, nichts ärgert mehr einen Architekten, der Umsatz wird gerne
mitgenommen.
Anreise und Zeit meines Baustellenservicemitarbeiters für Fragen welche die
Werkplanung bereits beantwortet, gehen natürlich auch zu Lasten der fragenden Firma.
Damit sind wir auch bestens für die Abschaffung der Handwerksordnung aufgestellt, da
der Verlust an Kompetenz der ausführenden Unternehmen nun endlich für mehr Umsatz
sorgt und nicht mehr für unbezahlte Überstunden.
Auch die Prozesse in dieser Angelegenheit wurden alle von Architekten gewonnen, da die
Gerichte, wie auch früher bei vielen Urteilen zu Vertragsbedingungen bei VOB-Verträgen,
davon ausgingen, dass der Architekt den Umfang der notwendigen Leistungen im
Einzelfall nicht vorher abschätzen und damit nicht kalkulieren kann.
Sorgt ein Unternehmer für mehr Aufwand auf der Architektenseite, muss er diesen
bezahlen.
Sicherlich wird der Unternehmer zukünftig seine Preise etwas anpassen müssen, damit er
leistungsfähig genug ist, den Architekten auch zu bezahlen. Das dürfte aber nach meiner
Schätzung höchstens eine Baupreisanpassung in der Größenordnung der
Restaurantpreiserhöhung nach der Euroeinführung anno dazumal, also offiziell unter 1%,
ergeben.
Am Ende gab es noch eine Honorarprämie, nachdem wir es geschafft haben, die
Baukosten 8% unter den kalkulierten Baukosten abzurechnen. Hiervon erhielten wir 50%,
also 4% der Baukosten.
Sicherlich hat die Stadt hier auch einige Kompromisse durch die .Optimierung. einiger
Wunschvorstellungen machen müssen. Möglicherweise waren auch einige demokratisch
gewählte Gemeindevertreter zunächst nicht erfreut, dass sie dazu vertraglich verpflichtet
waren. Aber am Ende haben wir alle davon profitiert.
Dass wir im Vertrag des Anwalts der Bauherrschaft einige Festlegungen und
Steuerungsmöglichkeiten vermisst haben, die einen erhöhten Aufwand bei uns erzeugt
haben und die Bauzeit deutlich verlängerten, führte zu den Nachträgen 12 und 13. Der
Anwalt selbst war auch unerwartet teuer, da er als .liberalisierter. Freiberufler, wie wir,
einige Nachträge stellte, dafür war aber alles super rechtssicher.
Nachtrag Nr. 14 war die Erweiterung unserer Leistungen durch Beauftragung unserer
Service- und Facility-Managementabteilung, die das Bauwerk nun zukünftig betreut inkl.
Gebäudebetriebs-, Mängel- und Gewährleistungsmanagement.
Die mehrfach geänderte Aufstellung der Abrechnung über die Kostenfeststellung hinaus,
für die Zuschussstellen der Stadt, war Nachtrag Nr. 15.
Meine Anwesenheit auf der Einweihung war auch nicht vertraglich vorgesehen, ich habe
aber in Anbetracht des guten Umsatzes mit der Stadt beim zurückliegenden Bauvorhaben
auf einen 16. Nachtrag für die Rede zur Einweihung verzichtet. Der Bürgermeister
sicherte mir aber zu, mich besonders lobend als einen wirtschaftlich denkenden
Architekten zu erwähnen, womit er sicher auch Recht hat.
Unterm Strich habe ich 90% mehr Honorar als ich nach der alten Honorarordnung hätte
nehmen dürfen. Kein Ehrengerichtsverfahren, kein Kammeranwalt. Nur richtig gut verdient
und alle sind zufrieden, dann endlich wissen auch alle, was ein guter Architekt wert ist und
was er alles arbeitet, denn sie bekommen ja die Rechnungen dafür.
Aber was ist denn nun eigentlich ein guter Architekt? Ein Betriebswirt, ein Manager, ein
Ingenieur, ein Künstler?
Lange Jahre haben wir mit den Hochschulen und der Politik darüber diskutiert. Ob der
Bachelor nun Architekt sein darf oder nicht. Der Vorschlag meines ehemaligen Kollegen
Herzog, man möge ihn doch einfach Architektle nennen, hat bis heute keine Mehrheit
gefunden. Zwischendurch haben sich einige Bachelors in die Kammer eingeklagt und
wurden .echte. Architekten.
Gelöst hat sich das Problem, nachdem Bundeskanzler Westerwelle mit seinem
Akkreditierungsversuch der deutschen Bachlorarchitekten zur Bauvorlageberechtigung
international gescheitert ist und dafür vor allem in China ebenso belächelt wurde, wie in
Indien. Diese beiden großen Industrienationen waren es auch, die angeboten haben in
Deutschland mit Know-how auf diesem Sektor auszuhelfen. Da gab es dann endlich eine
große Bildungsreform, der Bildungsföderalismus wurde abgeschafft und wir haben
begriffen, dass im Grunde nicht Bayern mit Thüringen konkurriert, sondern Deutschland
mit anderen Nationen. Der Architekt benötigt nun nach 19 Jahren Diskussion ein
Masterstudium und 2 Jahre Praxis.
Die Qualifikationen sind seit Jahren allerdings sehr unklar und gerade in Bewerbungen
findet man kaum Hinweise auf eine wirklich grundlegende Qualifikation. Es ist einfach
schwer, sich vorzustellen, was ein Bachelor in ökologischem Denkmalschutz, mit einem
Master in virtuellem Baustellemanagement wirklich in der Lage ist, im Büro zu leisten.
Wirklich erkennbar sind eigentlich nur noch die Kollegen, welche ihren Bachelor und
Master im Buildingdesign gemacht haben. Das sind echte Architekten. Also fast, denn
leider wissen die eben weder von der Technik, noch von der Umsetzung eines
Bauvorhabens etwas. Aber Computervisualisierungen können die machen, die sehen fast
so aus wie die Architektur die derzeit in China entsteht. Tolle Sache.
Ich habe kürzlich einen Kollegen eingestellt, der seinen Bachelor in Altbausanierung und
seinen Master in Bau- und Planungsökonomie gemacht hat und danach 5 Jahre lang zum
Thema .Infantilisierung der am Bau Beteiligten unter Berücksichtigung multipler
Persönlichkeitsstrukturen. promoviert hat. Ich denke, den kann ich schon nach 3-4 Jahren
Praxis alleine auf eine Baustelle schicken.
Immerhin bin ich sehr froh, dass ich Generalist blieb. Die Spezialisten blieben einer nach
dem anderen in der einen oder anderen Krise stecken. Die Generalplaner gibt es nach
wie vor, allerdings ist es meist lukrativer dem Bauherren die Subplaner zu suchen und mit
diesen hart zu verhandeln, als sich selbst in einem liberalisierten Markt alle Arbeit
aufzubürden.
Der Trick ist die Arbeit und das Risiko auf die Fachplaner abzuschieben und diese selbst
nur noch zu steuern. So sind wir zwar noch immer in diesem leidigen Werkvertragsrecht
gefangen, aber wir haben den Gewinn und die anderen das Risiko. Mein
Entwurfsarchitekt, der Ausführungsplaner, das Ausschreibungsbüro, der Lichtplaner, der
Akustikplaner, der Barrierefreiheitsplaner, der Fachplaner für Baden-Württembergisches
Baurecht, der Fassadenplaner, der Holzbauplaner, der Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und
Elektroplaner und meine 20 anderen Planer, werden im virtuellen Planungsnetzwerk mit
den Aufgaben betraut. Mein Honorarvorschlag kommt bei der Auftragssuche gemäß
meiner Angebotskalkulation gleich mit dazu, kann aber gerne noch unterboten werden.
Wir haben dieses Computersystem für einen ruinösen Wettbewerb von Subplanern aus
der im Jahr 2012 schwer angeschlagenen Automobilindustrie günstig übernommen und
sind damit sehr zufrieden. Ethisch moralische Bedenkenträger waren zu diesem Zeitpunkt
bereits verstummt, hatten doch auch die großen Gewerkschaften, wie der DGB und die IG
Metall, als letztes soziales Gewissen Deutschlands, bei diesem System nie Einwände.
Für die Arbeiten die ich tatsächlich noch selbst im Büro erledigen muss, gibt es
neuerdings eine interessante Alternative. Die zu Beginn des Jahrtausends nach China
ausgewanderten Kollegen, mit denen ich noch virtuellen Kontakt habe, können mit ihren
großen Planungsbüros, quasi über Nacht, die Planungen zu einem unschlagbaren Preis
erledigen. Das hat meine Wirtschaftlichkeit noch einmal deutlich angehoben und ich kann
nun auch noch die Hälfte meiner Büroräume an die örtliche Seniorengymnastikgruppe
vermieten.
Auch den kleinen Fachrichtungen geht es derzeit nicht schlecht:
Die Innenarchitekten haben seit Jahren volle Auftragsbücher, weil sie die nicht
behindertengerechten, in großer Zahl vorhandenen, Wohnungen aus dem vorherigen
Jahrtausend unter Berücksichtigung und Erhalt der äußeren Baukultur innen umbauen
müssen und die Hochbauarchitekten diesen Markt, aufgrund ihres Fassadenfetischs,
zunächst vernachlässigt, im Grunde sogar erst geschaffen, haben.
Die Stadtplaner beschäftigten sich meist nur noch mit der Neugestaltung der
freiwerdenden Flächen, die nach dem Abriss der nicht mehr benötigten Wohnbauten oder
auch der unzähligen, mangels Fachpersonal ins Ausland verkauften Betriebe, entstehen.
Immerhin entstehen auch mancherorts neue stadtnahe Wohnviertel in solchen Brachen,
die den immer weiter steigenden Flächenbedarf der kleineren Haushalte befriedigen.
Schwierigkeiten gibt es in der Stadtplanung meist nur in der Neuorganisation der
kulturellen Zentren der Innenstädte, wo zurecht die wachsenden Bevölkerungsschichten
aus anderen Kulturen ihre soziale, räumliche und gestalterische Entfaltung einfordern.
Gerade konservative, kinderlose Deutsche haben viel Zeit sich gegen solche
Entwicklungen zu empören und machen so manchem Stadtplaner das Leben schwer.
Richtig schwer haben es eigentlich nur die .alten. Landschaftsarchitekten. Die müssen
sich nun im hohen Alter noch die Namen der ganzen neuen Pflanzen merken, die nach
der Klimaveränderung hier heimisch wurden. Dafür sind diejenigen, die es geschafft
haben sehr begehrt, da allerorten neues, unbekanntes Unkraut wächst und bekannte
Arten nicht mehr so recht gedeihen und keiner mehr ohne Fachmann weiß, was zu tun ist.
Wir selbst sind derzeit durch Aufträge aus der boomenden Landwirtschaftsindustrie
ausgelastet. Die auf deutschen Böden wachsenden Nahrungsmittel und Rohstoffe sind
weltweit begehrt. Beim Dichten, Denken und Maschinenbauen haben uns viele überholt,
nicht zuletzt weil durch das viele Dichten und Denken keinen Nachwuchs mehr hatten.
Immerhin wächst bei uns noch etwas und das haben wir vielen Ländern voraus.
Nachdem nun mittlerweile die behindertengerechte Bautoilette angekommen ist und mein
Zimmermann mit den Arbeiten beginnt, werde ich mit meinem Elektro-Porsche Carrera
911E auf den freien alten Straßen zurück ins Büro fahren.
Schade, dass der Unterhalt der Straßen durch das geringe Steueraufkommen und die
Schuldenlasten der öffentlichen Haushalte kaum noch leistbar ist. Ich werde mir deshalb
dieses Jahr zu meinem 60. Geburtstag einen gebrauchten russischen Geländewagen
kaufen.
Die russischen Magna-Opelwerke sind heute technisch führend bei Elektrogeländewagen.
Mein Büro selbst ist mittlerweile in einem Plusenergiegebäude untergebracht. Im UG steht
zusätzlich ein Blockheizkraftwerk, welches über das Internet 5.0 zentral vom staatlichen
Energieversorger gesteuert wird und mit Millionen weiterer, eine Art Superkraftwerk bildet.
Mein Holz-BHKW schaltet immer dann zu, wenn gerade keine Sonne scheint oder kein
Wind geht. In Überschusszeiten werden unter anderem die Elektroautos aufgeladen.
Gut, dass zumindest in dem Bereich der öffentlichen Infrastruktur unsere ehemalige Linke
Bundeskanzlerin Sarah Wagenknecht, kurz bevor sie von Westerwelle abgelöst wurde,
noch alle Straßen, Wasser- und Stromnetze sowie alle Energieversorger wieder
verstaatlicht hatte, um eine effiziente, umweltfreundliche, aufeinander abgestimmte
Energieversorgung zu ermöglichen.
Ich freue mich schon aufs Büro, denn möglicherweise hat meine Marketingabteilung auch
endlich den Auftrag aus Südossetien akquiriert und ich kann endlich wieder einmal eine
neue Industriehalle bauen.
In Südossetien leben derzeit viele alte Deutsche und bringen der jungen Bevölkerung dort
unser Know-how, welches wir hier niemandem mehr weitergeben können. Außerdem ist
es dort im Sommer nicht so warm wie bei uns, was den Kreislauf entlastet.
Ich freue mich auf weitere 15 Jahre aktives Architektenleben, auf soziale Marktwirtschaft,
Liberalisierung, Entbürokratisierung, Gleichberechtigung, Schutz der Minderheiten und die
Baukultur.
Alexander Beck
Freier Architekt
Blaufelden